Diözesan­bischof Dr. Alois Schwarz

17.04.2019

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"Unsere Wunden vernarben im Schatten seiner Wundmale": Osterhirtenbrief 2019


Predigt

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Liebe Brüder und Schwestern in Christus!

 

Ganz bewusst habe ich mich für einen Osterbrief in der Heiligen Woche entschieden. Es ist unser erstes gemeinsames Osterfest hier in der Diözese St. Pölten, und wir haben intensive Wochen und Monate des Kennenlernens, des wachsenden Miteinander, des gegenseitigen Vertrauens, des Hörens und Sehens und Wirkens hinter uns. Die Osterkerze begleitet uns bei unserem täglichen Tun und Denken, und das Osterlicht um und ins uns brachte und bringt uns durch die Tage, durch unsere Arbeit und unser Leben. Nun sind wir gemeinsam am Palmsonntag eingetreten in diese dichte, die große, die heilige Woche. Wir gehen ganz konkret auf jene Ereignisse zu, von denen uns die Propheten berichteten. Gottes Heilsverspechen wird mit seinem Sohn Jesus Christus eingelöst. Gebannt schauen wir auf die Ereignisse des letzten Abendmahls, des Verrats an Jesus, seiner Verurteilung durch das Volk, seiner Kreuzigung und seines Kreuztodes. Wir stehen unter dem Kreuz und weinen, so wie Maria, Jesus Mutter und Maria von Magdala. Wir weinen und fragen nach dem „Mehr“.

 

Man liest, dass für viele Ostern keine religiöse Bedeutung mehr hat. Wir tragen vermutlich selbst genug dazu bei: Es liegt eine große Verführung darin, sich dem Leiden und Sterben von Jesus „durch die Hände sündiger Menschen“ (Lk 24,7) nicht zu stellen, gleich zur Freude überzugehen. Unser Osterfest ist ein Fest der Fülle, voll von beinahe jeder menschlichen Regung, jeder Empfindung. Ostern führt uns hinein in die großen Emotionen der Menschheit: Jubel, Popularität, Gemeinschaft, Verrat, Angst, Furcht, Schmerz, Verlassenheit, Verzweiflung, Fassungslosigkeit, Liebe, Freude. Wir sind es selbst, für die Gott Mensch geworden ist. Wir sind es selbst, die ihn verurteilen, jeden Tag aufs Neue. Wir sind es selbst, die ihn ans Kreuz nageln. Und trotzdem sind es genau wir, für die Jesus stirbt. Die Bedingungslosigkeit Gottes zu uns Menschen wird nur durch das gemeinsame Sehen von Kreuz und Auferstehung begreiflich. Keiner von uns kann sagen „Für mich hätte er nicht am Kreuz sterben müssen“. Ohne Karfreitag gibt es keinen Ostersonntag. Das Symbol unseres Glaubens ist nicht das leere Grab, es ist das Bild des Gekreuzigten. 

 

Alles, was wir Menschen in diesen Kartagen feiern, kennen wir aus unserem eigenen Leben: Tod, Trauer, Schicksal, Lebenserfahrung. Die Dunkelheit des Karfreitags zieht sich in die Spannung des Karsamstags hinein. Der Karsamstag steht ganz im Zeichen der Trauer über den Tod Jesu. Andererseits ist der Karsamstag jener Tag, der hineinverläuft in die Osternacht, der bereits eine Ahnung kennt vom Osterlicht. Die Osternächte hier in der Diözese sind geprägt vom Feuer, von der Gemeinschaft, an vielen Orten hört diese Nacht nicht auf, bis das Licht des Ostersonntages anbricht. Davor geschehen noch unsagbare, und herausfordernde Ereignisse, die uns die Zusage geben werden: Er ist auferstanden. Bis dahin kann es sein, dass die Karsamstagsschatten in uns intensiv nachhallen, auf unserer Seele liegen. Aber gehen wir in dieser Stimmung in diese festliche Stunde, in den Aufwachraum, ins Unbegrenzte. Gehen wir mit den Frauen dorthin, um zu schauen, ob nicht doch für uns eine ganz persönliche Ostererfahrung erlebt wird. Der Evangelist Lukas berichtet uns nicht explizit wie Johannes von der Begegnung Maria von Magdala mit Jesus, die diese Geistesgegenwart hat und plötzlich merkt: Da steht nicht der Gärnter vor mir, sondern Jesus selbst. Wagen wir uns vor wie die Frauen, wie Maria von Magdala? Mutig waren sie, die Frauen. Sie gehen vor Sonnenaufgang zum Berg, durch die engen Gassen, hinaus in die völlige Dunkelheit. Sie wollen ihn sehen, sie wollen ihre Öle zu ihm bringen, der zuvor – von ihnen so bitterlich beweint – am Kreuz gestorben ist und begraben wurde. Da ist ein Drängen in ihnen, eine Hinwollen, zu ihrem Jesus. Haben wir auch so eine Sehnsucht nach ihm und sagen, Herr, wir wollen dich so erleben, wie die Frauen dich erlebt haben? Brauchen wir ihn? Brauchen wir die Osterbegegnung oder kommen wir auch ohne ihn ganz gut zurecht in unserem Leben? Und wenn wir ihm begegnet sind, ganz konkret in unserem Leben, wagen wir es, von ihm zu berichten? Wagen wir, von den anderen als „Schwätzer“ hingestellt zu werden? Halten wir es aus, dass man uns nicht glaubt? 

 

Immer wieder staune ich, wie viele in der Bedrängnis, in Katastrophen, mit Tod und Leid zurechtkommen. Manche haben ihre eigenen Rituale gefunden und das Vermissen wird leichter. Aber Gott naht sich jenen, die ihn vermissen. Vermissen wir den Auferstandenen in unserem Leben? Vermissen wir ihn mehr als wir meinen? Jene, die immer eine Frage zu viel haben für alle Antworten: das sind die Jesussuchenden. Ich weiß nicht, ob sie das kennen, dass sie daheim sind und doch Heimweh haben. Wenn wir so etwas in uns spüren, dann sind wir schon Suchende. Dann, liebe Brüder und Schwestern, werden wir uns auf den Weg machen, auch in Karsamstagsstimmung, auch in der Traurigkeit, auch in der Verzweiflung, auch im Verlassen-Sein. Dann werden wir nicht hinnehmen, wenn uns der Alltag hinter die Kulissen des Lebens schleudert. Wir werden uns auf den Weg machen. Ich denke, Sie kennen Erfahrungen, wo Sie sich auf die Suche gemacht haben, ob es nicht doch ein Wort der Hoffnung, des Aufrichtens, ein Wort des Lebens geben kann? Diese Sehnsucht in uns muss brennen, diesen Hunger darf man ruhig einmal verspüren. Diesen Hunger nach jenen Antworten, die halten und tragen und nicht nur von kurzer Dauer sind. Bis wir antworten können: Die Liebe besiegt den Tod. Bis wir sagen können: Das Leben kommt vom Tod zum Leben. Bis wir sagen können: Es ist Ostern gekommen, mit seinem Licht, mit seinem Glanz, mit seiner Freude, mit dem Durchdringen des Todesschattens mit dem ewigen Leben. Bis wir sagen können: Aus den Nägeln im Kreuz leuchtet das Osterlicht. 

 

Für uns Christen ist Ostern „das höchste Fest im Jahreskreis“. Ostern bedeutet, dass am Ende des Lebens nicht der Tod steht, sondern ein Weiterleben bei Gott. Es bedeutet, dass Leidsituationen, Lüge, Unrecht und Hass nicht das letzte Wort haben. Es bedeutet, dass Ostern die Überwindung von allem Schweren in unserem Leben ist. Es ist die Weiterführung des Lebenssinnes. Ostern ist für uns Christen tiefes Angenommensein und innerer Frieden im Wissen und Glauben an die Auferstehung. Ostern ist ein Fest des Lebens, es ist das klare „Ja“ zum Leben, das klare „Ja“ Gottes zu uns Menschen. Das Osterfest ist der stärkste Protest gegen die Hoffnungslosigkeit und Resignation und gibt uns die Zusage der begegnenden Liebe unseres Gottes. Glauben wir daran. Lassen wir Gutes aus dem Bösen hervorgehen. Feiern wir den Sieg Jesu Christi über Sünde und Tod. Unsere Wunden vernarben im Schatten seiner Wundmale. Feiern wir den Neuanfang des Lebens. Glauben wir Gott, dass er uns liebt. 

 

Im Aushalten der Dunkelheit der Kartage und in der Osterfreude mit Ihnen verbunden

 

Ihr Alois Schwarz 

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