Diözesan­bischof Dr. Alois Schwarz

13.06.2024

Zurück zur Übersicht

Diskussionen um das EU-Renaturierungsgesetz


Aktuelles

daniel-sessler-78kaMQmUUq4-unsplash-02

Die Bewahrung der Schöpfung und die Bewältigung der globalen Klimakrise erfordern die Zusammenarbeit aller gesellschaftspolitischen Kräfte. Neben dem Umdenken unseres eigenen Lebensstils bedeutet dies auch, durch politische Gesetze Rahmenbedingungen zu schaffen, um eine wirklich nachhaltige Zukunft zu ermöglichen. Viele Menschen in Österreich fühlen sich allerdings mehr und mehr durch eine als ausufernd empfundene Überregulierung und Bürokratisierung nicht nur in ihrer persönlichen Freiheit, sondern auch in ihrer beruflichen Existenz und kulturellen Identität gefährdet.

 

Wir erleben in diesen Tagen sehr intensive Diskussionen zum EU-Renaturierungsgesetz und zur EU-Entwaldungsverordnung, wobei wichtig zu betonen ist, dass diese Diskussionen ebenfalls in einer Reihe weiterer Mitgliedstaaten geführt werden. Dazu möchte ich zunächst grundsätzlich sagen, dass wir uns, auch wenn wir noch nicht am Ziel angelangt sein mögen, in Österreich in vielerlei Hinsicht doch auf einem guten Weg befinden. Als Beispiele seien nur der mit EU-weit höchste Anteil an Bio-Bauernhöfen[1] genannt oder die Tatsache, dass in Österreich die Waldfläche in den letzten zehn Jahren täglich um sechs Hektar zugenommen hat.[2] Ich bin dankbar dafür, dass wir in Österreich einen gesellschaftlich sehr breiten Konsens haben, was den Schutz unserer Natur und Verbesserungen im Sinne der Nachhaltigkeit haben. Ebenso bin ich vom Wertebewusstsein für die Schöpfung vieler in politischer Verantwortung Stehender überzeugt.

 

Die Gefahr des technokratischen Paradigmas, von dem Papst Franziskus in Laudato Si‘ und Laudate Deum spricht, besteht u.a. darin, rein technische Lösungen für Probleme zu suchen, die in ihrer Wurzel angegangen werden müssen. Sie betrifft aber auch die Gefahr eines zunehmenden Technokratismus in der Art und Weise, wie Politik gestaltet wird. Konkret geht es hier um die Gefahr, den Blick auf den Menschen zu verlieren und ihn nicht in politische Lösungen miteinzubeziehen. Vertrauensverlust in Institutionen und die Politik im Allgemeinen sowie persönliche Existenzängste können dann die Folge sein. Die Bauernproteste der letzten Monate in vielen EU-Mitgliedstaaten haben gezeigt, dass dies in besonderer Weise auf den Agrar- und Forstsektor zutrifft. Dabei ist es gerade hier so notwendig, eine ganzheitliche und menschenzentrierte Perspektive einzunehmen, um im Sinne echter Nachhaltigkeit auch das Überleben und Gedeihen der Landwirtschafts- und Forstbetriebe und allgemein die Vitalität des ländlichen Raumes zu garantieren.

 

Wir können uns glücklich schätzen, in Österreich noch auf ein weites Netz an vor allem kleinen und mittleren Strukturen, Familienbauernhöfen sowie einen weitaus noch vitalen ländlichen Raum blicken zu können. Das harmonische Zusammenwirken von Mensch und Natur kann erschwert werden, wenn beide isoliert voneinander betrachtet werden und allein „unberührte“ Natur, zurückgeführt in ihren „Ur-Zustand“, als Idealzustand gedacht wird. Ziel muss eine Kultivierung des Landes sein, die verschiedenen notwendigen Anliegen Rechnung zu tragen vermag – der Ernährungssicherheit, Erhaltung oder Verbesserung von Biodiversität (denken wir etwa an Heckensetzungen), Wasser- und Bodenqualität, aber auch der Realität des Klimawandels, die sich beispielsweise bereits im Trend zu mehr Laubholzarten zeigt. Bloße Konservierung oder Wiederherstellung läuft Gefahr, nicht auszureichen.

 

Sorgen um Konsequenzen von zu wenig ganzheitlich verfassten Verordnungen für den Agrar- und Forstsektor, aber auch etwa den Wirtschaftsraum oder die Entwicklung und Besiedelung des ländlichen Raumes sind berechtigt. Es stellt sich außerdem die Frage, ob nicht prinzipiell über das Maß an Verordnungen zu reflektieren sei: Das Prinzip der Subsidiarität verlangt nach einer grundsätzlich sehr weiten Eigenständigkeit der Mitgliedstaaten und Regionen. Häufig kann bereits existierendes nationales Gesetz, oftmals der jeweils eigenen Realität besser entsprechend, ausreichen, um einen bereits eingeschlagenen guten Weg weiterzugehen. Wir sehen bei uns in Österreich sehen, wie gut das funktionieren kann. Ebenso können auch Anreizsysteme beim Menschen häufig mehr bewirken als komplexe Überregulierung. Fragen nach der Umsetzbarkeit und Finanzierung müssen gestellt werden, auch wenn sie unangenehm sind. Schließlich zeigen die intensiven Diskussionen ein mögliches Defizit an der Involvierung von den Gesellschaftsgruppen im politischen Entscheidungsfindungsprozess auf, die davon am meisten betroffen werden. Den Menschen wieder vermehrt ins Zentrum zu stellen und als Lösung für die bestehende Krise zu betrachten, sei ein letzter Appell.

 

[1] https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Fully_organic_farms_in_the_EU

[2] https://info.bml.gv.at/dam/jcr:a5c90b98-5c24-4bd6-a9f1-60cbbda8cfff/BML_broschuere_oesterreichischer_waldbericht2023_200dpi_pac3.pdf 

Weitere Beiträge

Ich bin. Mit dir.